Eine Frage der Vernunft

WP_20130613_003

Liegt Schnee oder nicht? Die Frage mutet Mitte Juni seltsam an. Doch hier im Zillertal werden erst nach und nach die Gipfelstationen geöffnet. Auf dem Mayrhofner Hausberg, dem Ahorn lag letzte Woche noch ein halber Meter von dem weißen Winter.

Für den dritten Tag unseres Wanderurlaubs hatten Amanda und ich uns hohe Ziele gesetzt. Der Rastkogel ist mit über 2.700 Metern kein flacher Zipfel. Daher waren wir uns nicht sicher, ob wir ihn meistern könnten. Unser mitgebrachter Wanderführer “Zillertal” ordnet die Tour vom Penken zum Rastkogel als mittelschwer ein. Also nichts, was wir beiden nicht mit ein bisschen Optimismus lösen könnten.

Wer einen Gipfel besteigen möchte, sollte früh los. Doch das ist bei den Öffnungszeiten der Bergbahnen gar nicht so einfach. Die Penkenbahn startet erst um 9:00 Uhr früh.

Wir standen also um 9:30 Uhr an der Bergstation der Penkenbahn. Von dort sind es aber noch 30 Minuten bis zum Penkenjoch, von dem der Autor unseres Wanderführers seine dreieinhalb Stunden Tour starten lassen wollte. Wohlgemerkt für Hin- und Rückweg. Das Hinweisschild des DAV vermerkt hierzu 4 Stunden für eine Strecke. Wem soll man da glauben?

WP_20130613_009Es gibt wohl nichts Schöneres, als bei strahlendem Sonnenschein seine Tour zu starten. Amanda und ich waren vom Vortag ausgeruht und legten ein gutes Tempo vor, obwohl die Auslöser von Kamera und Handykamera ausdauernd klickten.

Die dünne Luft oberhalb von 2.000 Metern machte uns allerdings bei den Anstiegen ein wenig zu schaffen. Wenn Dein Trainingsgebiet der Taunus ist, dann schnupperst Du die dünnste Luft bei 680 Meter auf dem Gipfel des Feldbergs. Dafür hatten wir uns also nicht vorbereiten können.

Rastkogeltour Mandy Cam 017Trotzdem lief alles gut, bis wir die Wanglalm erreichten. Dort zeigte ein Wegweiser “Rastkogel” an und leitete uns quer über den Hang der Wanglspitze. Hätten wir einen Blick in den Wanderführer geworfen, dann hätten wir dort lesen können, dass wir uns zunächst auf den Gipfel der Wanglspitze hätten hocharbeiten müssen, um auf dem Kamm weiterzugehen. So liefen wir durch eine Hangwiese, die alle Attribute eines Hochmoores hatte, insbesondere sehr tückische Trittlöcher.WP_20130613_041

Unser zünftiger Wanderschritt wurde zum unsicheren Gehoppel und unser Tempo sank auf Invalidenniveau. Wenn wir hier nicht höllisch aufpassten, konnte dieser Zustand permanent werden. Hinzu kamen einige kleinere Schneefelder, die wir lieber umgingen, da sie oft unterhöhlt waren und das Gebirgswasser direkt darunter hervorquoll. Nach einiger Zeit stiegen wir über einen einigermaßen begehbaren Gebirgsbach zu einem besser befestigten Pfad ab. Am Ende dieses tückischen Hanges konnten wir ja jederzeit wieder Höhe gewinnen und auf den eigentlich geplanten Weg zurückkehren.

WP_20130613_042Danach kamen wir besser voran. Doch eine Frage beschäftigte uns. Wie konnte unser Wanderführer diesen miesen Weg als “mittelschwer” einordnen? Zumal wir an diesem Hang allein gut anderthalb Stunden verbrachten.

Am Ende kamen wir endlich auf eine befestigte Straße. Jetzt nur wieder Höhe gewinnen! Doch das war einfacher gesagt als gestiegen. Denn hier waren weite Flächen noch von Schnee bedeckt. Wir versuchten unser Bestes. Wir kämpften uns durch nassen Schnee und sanken teilweise bis über die Knie ein.

Später stiegen wir steile Grashänge in der brütenden Mittagshitze hoch. Wie sich das mit dem Schnee vertrug? Offensichtlich bestens, denn es gab mehr davon, als uns lieb war. Es wurde immer später und der Rastkogel-Gipfel lag noch 400 Meter höher und war – wie sollte es anders sein – schneebedeckt.

Rastkogeltour Mandy Cam 026

Ziele sind eine schöne Sache und wir hätten so gerne das Gipfelkreuz gesehen. Doch in den Bergen ist Vernunft ein oft unterschätztes Wesensmerkmal. Amanda hatte ihre Kräfte schon im unwegsamen Gelände verschlissen. Wir setzten uns daher zur Mittagspause auf eine grasbedeckte Kuppe und genossen für ein paar Minuten die Landschaft. Der Gipfel wird noch da sein, sollten wir zurückkehren. Also brachen wir den Gipfelsturm ab.

Statt über die Hoppelwiese zum Penken zurückzukehren, entschieden wir uns, nach Vorderlahnersbach abzusteigen. 1.100 Meter sind kein Pappenstiel und gehen gemein in die Knie. Ein schönes Detail ist auch, wenn der Weg durch ein Feuchtgebiet führt und Du bei einem Fehltritt bis zu den Knien in den lockeren Schlamm einsinkst. Soll ja gut für die Haut sein. Aber Amandas Bergstiefel sehen nicht wirklich besser aus. Um 16:20 Uhr kamen wir schließlich im Tal an.

WP_20130613_061

Das war ein bisschen länger als die ursprünglich prognostizierten dreieinhalb Stunden für unsere Tour zum Rastkogelgipfel. Aber seltsamerweise fühlten wir uns großartig. Mag sein, dass die Sohlen noch etwas rauchten, aber insgesamt haben wir diesen Tag in den Bergen sehr gut überstanden.

Mit einer Ausnahme vielleicht. Am Morgen hatte ich vergessen, meine Hände mit Sonnenmilch einzureiben. Solche Sünden werden natürlich bestraft. Daher sind meine Handrücken jetzt knallrot und leicht geschwollen. Die nächsten Tag werde ich beim Wandern Handschuhe tragen müssen, bis die Haut weniger lichtempfindlich ist. Bis dahin bin ich Kai mit den Lobsterhänden.