In schwindelnder Höhe

Oeschinen Heuberg 146 Die Wetterprognose war vielversprechend. Zumindest versprach sie mehr als an allen anderen Tagen zuvor. Dem wollten wir nicht hinterher stehen und planten die bisher ambitionierteste Tour. Wir wollten auf die Blümlisalphütte über den Hohtürli-Pass. »Passen Sie gut auf sich auf und riskieren Sie nicht zu viel«, gab uns unsere Gastgeberin vom Bernerhof mit auf den Weg.

Als Mann fühlte ich mich natürlich schon seit einigen Tagen vom Berg herausgefordert. Allerdings habe ich zu viel Spaß an meinem Leben, um meine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Wir versprachen daher brav, bei Gefahr den Rückwärtsgang einzulegen.

Den Knackpunkt dabei, sollte ich allerdings erst dann begreifen, als es eigentlich schon zu spät war.

Oeschinen Heuberg 022 Wie das mit Prognosen so ist, empfing uns oben am Oeschinensee erst einmal ein bewölkter Himmel. Der See ist aber auch bei solchem Wetter ein echter Hingucker, besonders in den frühen Morgenstunden.

Oeschinen Heuberg 018 So ließen wir uns viel Zeit mit Fotografieren und einem kleinem Umweg zu einem Wasserfall. Letztere gibt es in dieser Gegend dutzendfach. Das Wasser der vergletscherten Berge sucht sich überall seinen Weg die steilen Berghänge hinab.

Aber so oft wir auch am Fuße eines solchen Wasserfalls standen, es gab immer noch einen weiteren, den wir nicht gesehen hatten. Dabei ist das oft eher enttäuschend. Ganz selten nur bekommt das Fotografenauge etwas Spektakuläres vor die Linse.

Oeschinen Heuberg 054 Weil das Hauptmotiv die Bewegung ist, kann die Videofunktion bedeutend mehr aus der Situation machen.

Als wir uns schließlich an den steilen Aufstieg zur Alphütte »Unterbärgli« machten, empfing uns ein unangenehmer Sprühregen. Der Weg war so steil und rutschig, dass wir froh waren, unsere Teleskopstöcke dabei zu haben.

Zu diesem Zeitpunkt war ich noch der Meinung, dass Teleskopstöcke die beste Erfindung seit dem Bergwanderschuh sind. Im steilen Gelände stimmt das auch durchaus.

Oeschinen Heuberg 076 Der Regen hielt sich zum Glück nicht lange und rechtzeitig als wir die Hütte erreichten, war es auch wieder trocken und die Sonne ließ ihre ersten warmen Strahlen hinter der Wolkendecke hervorbrechen.

Meine Lieblingsfrau gönnte sich eine Tasse Schokolade und ich ein Wasser, sowie ein Besuch des stillen Örtchens. Für eine Berghütte war der eigentlich ganz ordentlich, bis darauf, dass er nicht nur still, sondern auch ziemlich dunkel war.

Mit uns zusammen traf eine Gruppe Wanderer ein, die von oben abgestiegen waren. »Schnee, aber kein großes Problem«, erklärte mir einer der Wanderer über die Bedingungen bei der Blümlishalphütte. Schnee ist zwar nicht das, was man im Hochsommer erwarten mag, aber damit würden wir schon fertig werden.

Als eine weitere Gruppe von oben eintraf, setzten wir unseren Weg fort. Meine Lieblingsfrau hoffte aufgrund der dauerbesetzten Toilette auf die der Namens-Logik gehorchende “Oberbärgli” Alphütte. 35 Minuten sind ja nicht so lang.

Für den Weiterweg musste ich nicht einmal auf die Karte schauen, denn wir hatten ja die beiden Gruppen beobachtet. Der Weg schien steil und deckte sich nicht ganz mit meinen Erinnerungen von vor sieben Jahren. Aber wer will da schon mäkeln?

image Steile, von Feuchtigkeit durchzogene Grasnaben sind sicherlich nicht der Stoff aus dem Bergwandererträume gemacht sind. Doch was will man machen. Der weitere Aufstieg war schwierig und führte bei meiner Lieblingsfrau zu ersten Protesten. »Bist Du sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?«

Zumindest hatte ich keinen anderen Weg gesehen und wie schon gesagt, das war der Weg, über den die anderen Gruppen von oben herunter gekommen waren.

Nach einiger Zeit hatten wir uns den Berg hochgekämpft und standen  etwas ratlos vor einer steilen Felswand. »Da willst Du mit mir hoch?« Meine Frau stellte die Frage eher ungläubig als alles andere.

»Wir könnten auch wieder zurück«, meinte ich. »Auf gar keinen Fall!« Amanda konnte sich schwer vorstellen, den rutschigen steilen Hang noch einmal in umgekehrter Richtung zu meistern.

Der Weg führte über verschiedene glitschige Felstritte senkrecht nach oben. Ein Stahlseil war als Sicherung an den vor rasiermesserscharfen Kanten strotzenden Felsen befestigt.

Von oben stieg gerade ein Ehepaar die Felsen hinunter. Der Mann hatte die Teleskopstöcke seiner Frau unter dem Arm, während er beruhigend auf sie einsprach. Sie klammerte sich mit aller Macht an die Stahlseile und kam zentimeterweise langsam herunter.

Blick zurück über die Steilwand »Wie schwer ist es?  fragte ich den Mann. »Ach, das ist toll. Hier ist ja eine richtige Treppe. Das schaffen Sie mit links. Wir sind auch keine Gipfelstürmer, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen!« Seine Frau war derweil einem Weinkrampf näher als dem letzten Felstritt, den sie gerade mit ihrem zittrigen Fuß prüfte.

Nach seinen Worten hatte Sie wohl keine andere Wahl, als ein tapferes Gesicht zu machen und am Ende ihrer Nerven angekommen von der Felswand zurückzutreten

Nun denn, das Stahlseil half wirklich. Für mich war es etwas zu niedrig angebracht, aber meine Lieblingsfrau war sehr zufrieden damit. Bis zu dem Punkt, als das Seil zuende war. Wir hatten inzwischen gut 10 Meter Höhe erreicht und ein kleiner falscher Tritt hätte unangenehme Nebenwirkungen gehabt.

Zu diesem Zeitpunkt beschlich mich ein schlechtes Gefühl. Ich hatte auf diesen Berg das Wertvollste in meinem Leben mitgebracht, meine Frau. Was wenn Sie trotz des guten Trainings im Vorfeld aus Erschöpfung danebentrat?

Oeschinen Heuberg 086 Wir ließen uns viel Zeit und machten viele Pausen. So kamen wir irgendwann tatsächlich oben an. Dort begegnete uns ein Engländer , der nur meinte, »It’s not far anymore«, dabei ausrutschte und fast vor unseren Augen die Felswand hinuntergestürzt wäre! Im letzten Moment konnte er sich noch aufs Gras zurückretten. That crazy guy! Er lachte auch noch über unsere erschreckten Gesicher!

Alternative (leichte) Route Tatsächlich waren es nur noch knapp zehn Minuten. Ein Blick zurück auf die Hütte zeigte übrigens die Alternativ-Route, die meine Freunde und ich vor sieben Jahren genommen hatten. Das wäre auch der offizielle Weg laut Karte gewesen. Mein Pech: Er startete etwas unterhalb der Hütte und führte nach rechts, wohingegen ich mich nur nach links orientiert hatte. Dieser Weg wäre um einiges sicherer gewesen.

Ich hatte mich also mal wieder zum Lemming machen lassen und war der Masse gefolgt, ohne mich selbst ausreichend zu informieren. 😮

Oeschinen Heuberg 087 Der Aufstieg hatte uns so viel Zeit gekostet, dass wir spontan beschlossen, nicht zur Blümlisalphütte weiter zu laufen, sondern nach einer ausgiebigen Pause den Umweg über den Heuberg zurück ins Tal zu nehmen.

Unglücklicherweise bestand die stille Örtlichkeit aus etwas, was man in dieser Höhe und Abgelegenheit erwarten konnte. Meine Lieblingsfrau verzichtete daher auf den Besuch des Plumpsklos. Das gab unserem Abstieg eine gewissen Dringlichkeit. 😮

Blümlisalp Ein letzter Blick in Richung Blümlisalp und weiter ging es. Der Heuberg ist ein steiler Berg, dessen steile Flanken direkt im Oeschinen-See enden. Der Weg ist ein schmaler Graspfad, an dessen Rand es oft mehrere hundert Meter tief hinunter geht. Die Aussicht ist daher fast immer spektakulär, aber man sollte zu jedem Zeitpunkt konzentriert gehen und unbedingt schwindelfrei sein.

Oeschinen Heuberg 150 Auf dem größten Teil des Weges hält man die Höhe und erst im letzten Teilstück geht es nach unten zum See. Alle paar hundert Meter wird der schmale Pfad durch einen kleineren oder größeren Bach/Wasserfall unterbrochen, den es zu durchqueren gilt. Mehr als einmal waren wir einfach nur froh über unser wasserdichtes Schuhwerk. Denn das Wasser war schlichtweg eiskalt aufgrund seines eisigen Ursprungs.

Diese Durchquerungen waren es auch, die uns das meiste Kopfzerbrechen bereiteten. Denn oft genug ging es nach dem Absatz, auf dem wir zwischen losen Steinen im Wasser herumkletterten, in Form eines Wasserfalls steil nach unten.

Oeschinen Heuberg 163 Was mir zu dem Zeitpunkt noch nicht klar war: Mit ein Grund für die Unsicherheit waren unsere Teleskopstöcke, die uns ja eigentlich stabilisieren sollten. Aber die Stöcke gehen immer zuerst und dann folgen die Füße. Das hat zur Folge, dass die besten und sichersten Trittgelegenheiten schon besetzt sind. Zudem verlagert man unbewusst sein Gewicht und bewegt sich insgesamt unsicherer.

Vermutlich hätte ich die Wasserdurchquerungen ohne Stöcke kaum der Worte Wert gefunden. So aber war es ein Abenteuer, das einiges an Adrenalin garantierte.

Viele Pausen durften wir uns allerdings auch nicht gönnen. Denn zum einen schlug langsam aber sicher das Wetter um, zum anderen wollte meine Lieblingsfrau ja dringend ins Tal. 😉

Oeschinen Heuberg 176 Für Fotografen ist der Heuberg ein echtes Ereignis. Denn neben den tollen Ausblicken ins Tal und die benachbarten Berge, blüht im Juli immer noch ein wahres Feuerwerk an Wildblumen ab. Wer sich die Zeit nimmt, kann bestimmt eine reiche Fotoaus-Beute mit nach Hause nehmen.

Am Ende des Tages waren wir beide froh über die überstandenen Abenteuer und rechtschaffen müde. Ein kleines Wermutströpfchen blieb. Auch dieses Mal war ich nicht auf dem Hohtürli-Pass und konnte nicht die Blümlisalphütte besuchen.

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