Wild und krumm verfranzt

Blick vom Isskogel

Zwei Wanderer gehen durch die Krummbachtalschlucht. Die Kakaphonie der tosenden Fluten des Krummbachs begleitet sie schon eine ganze Weile. Der grasbewachsene Weg hat sich so voll Wasser gesogen, dass sich jeder Schritt anfühlt, als gingen sie auf einem Trampolin. Nach einiger Zeit sehen sie einen Steg, der auf die andere Seite führt.

Doch während sie das Wildwasser überqueren, entfährt es dem jungen Mann: “was zum Teufel …!” Seine Begleiterin schaut ihn fragend an. Da zeigt er auf die andere Seite der Schlucht. An dem grasbewachsenen Steilhang turnen hoch oben zwei Wanderer zwischen den Findlingen umher.

“Wie sind die denn dorthin gekommen?” Die Frage musste erst einmal unbeantwortet bleiben. Denn ganz offensichtlich waren die beiden Kletterer nicht ganz in ihrem Element. Sie setzten sich schließlich auf den Hosenboden und rutschten so Meter für Meter den Hang hinunter.

“Das sieht nicht gut aus. Vielleicht brauchen die beiden Hilfe!”, meinte der junge Mann. Hundert Meter später über federnde Grasmatten standen sie am Fuß des Hangs, an dem sich seit Jahrhunderten die von oben herabgerollten Findlinge zu einer beeindruckenden Felswand aufgetürmt hatten.

Die beiden Steilhangrutscher brauchten noch gut eine halbe Stunde, bis sie ebenfalls an dieser Wand ankamen. Beim riskanten Abstieg bekamen sie gute Tipps, wo sie es wohl leichter haben würden.

Die beiden Wahnsinnigen am Steilhang waren Amanda und ich. Doch wie waren wir dort raufgekommen?

Beim Wandern gibt es immer wieder die eine oder andere Schlüsselstelle. Gehst Du richtig, hast Du eine tolle Tour vor Dir. Gehst Du falsch, dann erlebst Du in der Regel ein Abenteuer.

An diesem Tag hatte wir vor, eine der wildesten und unerschlossensten Gegenden des Zillertals zu durchwandern. Die Wilde Krimmel und das Krummbachtal. Der erste Teil der Tour lief auch sehr gut. Wir stiegen auf den Isskogel und genossen von dort einen phantastischen Blick bis zum Salzburger Land. Danach wurde unser Wanderführer ein wenig kryptisch. Erst sollten wir nordwestlich absteigen und dann westlich weitergehen. Hilfe! Wer hat einen Kompass dabei? Na gut! Die Sonne tut`s schließlich auch.

Nach einiger Zeit erreichten wir tatsächlich die (unbewirtschaftete) Krimmelalm. Danach sollte unsere Tour ins Krummbachtal starten. Wir folgten eine Zeit lang einem Wirtschaftsweg, wunderten uns aber bald, dass die Beschreibung im Wanderführer nur noch mit viel Phantasie den Gegebenheiten entsprach. Als uns dann eine Gruppe von Wanderern entgegenkam, die auch etwas ratlos waren, holte ich mein GPS-Gerät (aka Smartphone) heraus.

Die anderen Wanderer wollten zurück zur Krimmelalm, um sich neu zu orientieren. Das musste ich zum Glück nicht tun. Denn ich entdeckte, dass an einer unauffälligen Stelle ein Pfad von dem Wirtschaftsweg abzweigte. Vom GPS gelotst entdeckten wir tatsächlich die rotweißen Markierungssteine, die uns direkt an den tosenden Krummbach heranführten. Und dann kam er. Der Moment, an dem Du die richtige Entscheidung triffst oder einfach ein wenig dumm bist. Ich bin 1,86 Meter groß, Amanda 1,54 Meter. Das macht beim Wandern in der Regel nicht viel aus. Doch während ich mit etwas Anlauf über den Bach hätte springen können, brauchte meine Frau einen Übergang.

An solchen Stellen darfst Du nicht zu vorsichtig sein. Denn Du brauchst den Schwung nach vorne, um das andere Ufer zu erreichen. Ich war in drei großen Schritten auf der anderen Seite und wollte Amanda die Hand reichen. Leider war sie die Sache zu vorsichtig angegangen und stand im Scherenschritt auf zwei Steinen. während sie hinten langsam wegrutschte, konnte sie meine Hand nicht mehr ergreifen. Ihr fehlte der Schwung. In solchen Momenten scheint die Zeit fast stillzustehen. Ich sah also, wie meine geliebte südafrikanische Prinzessin mit ihrem hinten Fuß ins tiefe Wasser rutschte und der zweite Fuß gleich darauf sein Schicksal teilte, während Amanda schließlich mit Todesverachtung durch den tiefen Teil des Baches watete.

Goretex-Wanderschuhe sind wasserdicht. Das hilft leider gar nichts, wenn das Wasser von oben hereinströmt. Mandy ließ mich wissen, dass sie für den Rest des Tages mit eingebauter Erfrischung wandern würde. Aber das war es auch. Viele andere hätten vermutlich mehr gejammert, Chapeau!

Jetzt standen wir zwar auf der anderen Seite, doch leider gab es keine Markierungssteine mehr. Wir suchten eine Zeit lang vergeblich, bis wir durch Zufall auf eine ziemlich verwitterte Farbspur in Rot und Weiß stießen. Hier musste es lang gehen!

Liebe Wanderfreunde! Ab hier beginnt der große Fehler. Eigentlich wollte ich lieber auf den Wirtschaftsweg zurück und die Tour abkürzen. Da Amanda schon ein so großes Opfer gebracht hatte und ich auch nicht wusste, wie ich sie ohne eine weitere Erfrischung zurück auf die andere Seite des Baches bringen sollte, entschlossen wir uns, weiterzugehen.

Es gab keinen Pfad. Stattdessen liefen wir über mit Wasser vollgesogene Grasmatten, die wie kleine Trampoline bei jedem Schritt zurückfederten. Wir stiegen immer wieder auf kleine Hügel. Wir hatten zwar das Gefühl, durch ein Tal zu wandern, aber der Krummbach fließt nun einmal von oben nach unten. So dass wir bald hoch über dem eigentlichen Tal wanderten

In dem unzugänglichen Gelände waren wir ein gutes Beispiel für die Entdeckung der Langsamkeit. Doch anders als in neueren Managementlehren sorgte die Entschleunigung nicht für Stressabbau. Im Gegenteil! So langsam macht ich mir wirklich Sorgen, ob wir unseren letzten Bus nach Mayerhofen noch erreichen würden.

Die Rettung: weit unter uns in der Ferne entdecke ich einen Steg über den Krummbach. Wenn da eine Brücke ist, konnte ein Weg nicht weit sein. Allerdings war der Abstieg steil und gefährlich. Im letzten Drittel entdeckten uns die beiden hilfsbereiten Wanderer.

“Zur Krummbachrast geht es diesen Weg lang!” Das war der gesuchte Weg! Klasse! NIcht ganz so klasse war unser Zustand. Der Abstieg hatte uns viel Kraft gekostet. Wir blieben schnell hinter den beiden zurück und waren bald wieder auf uns gestellt.

P1100904Ab dieser Zeit wanderten wie gegen die Uhr. Der Weg durchs Krummbachtal ist malerisch. Doch wenn die Kraft fehlt, ist der Pfad durch die Felsen eine reine Folter. Mandy und ich sind unzählige Male umgeknickt. Ein Hoch auf unsere guten Wanderschuhe, die Schlimmeres verhindern konnten!

Um 17:20 Uhr sollte der letzte Bus im Tal abfahren. Um 17:15 standen wir an der Bushaltestelle. Wir pfiffen nicht auf dem letzten Loch, weil für ein Pfeifen der Druck gefehlt hätte.

Laut Wanderführer hätten wir 3:15 Stunden brauchen sollen, tatsächlich waren wir 7:30 Stunden unterwegs! Ein Fehler und seine Auswirkungen.

Am nächsten Tag haben wir erst einmal Pause gemacht. Denn sowohl die Oberschenkel-Muskeln als auch die Wadenmuskeln hatten sich einen ausgewachsenen Kater eingefangen.